Die Buchhaltung – ein fehlendes Kernstück?
Die Ausgangslage
Die Unternehmensentwicklungsagentur APP möchte ihr bisher nur intern genutztes Tool «planis» vermarkten und verkaufen. Zu diesem Zweck ist sie auf uns Studentinnen und Studenten zugekommen mit dem Auftrag, im Rahmen einer Projektarbeit mögliche Verbesserungen und Erweiterungen an der Software zu finden und auszuarbeiten.
In einer ersten, kurzen Begutachtung der Software sahen wir viele uns bereits aus anderen Programmen bekannte Funktionen wie eine Kundenverwaltung, die Möglichkeit, Arbeitsrapporte zu erstellen, eine Projektverwaltung und ein Fakturierungsmodul, mit welchem Rechnungen erstellt werden können. Uns fiel schnell ins Auge, dass im Bereich der Fakturierung interessante Optimierungen möglich wären: Unsere favorisierte Idee war zunächst, mithilfe einer Schnittstelle im E-Banking abzufragen, ob eine Rechnung bereits bezahlt wurde oder ob sie noch offen ist.
Die Idee
Ein anschliessendes Gespräch mit APP erweiterte unsere finale Idee dann etwas: Warum nicht direkt eine Buchhaltungssoftware anbinden?
Insbesondere viele kleinere und mittlere Unternehmungen setzen heutzutage eine Buchhaltungssoftware ein, um ihre Buchhaltung schnell und einfach zu erledigen. Dabei wird es immer wichtiger, dass die Daten nicht manuell hin- und hertransferiert werden müssen, sondern automatisch in den verschiedenen Systemen auftauchen. Dies spart nicht nur Zeit, sondern verhindert auch mögliche unter Umständen kostspielige Fehler.
Der erste Anlauf
Wir begannen damit, zu definieren, wie und an was Buchhaltungsoftwares eigentlich genau angebunden werden sollen. Getreu dem agilen Vorgehen starteten wir im Bereich des Faktura-Moduls und behielten uns vor, weitere Module bei verbleibender Zeit zu analysieren.
Wir orientierten uns an unserer ganz zu Beginn favorisierten Idee und identifizierten den Haupt-Use-Case, dass planis den Status einer Rechnung automatisch erkennen kann (d.h. offen, bezahlt oder überfällig) und dann für überfällige Rechnungen die für die Rechnungen zuständige Person alarmieren kann und sogar automatisch Mahnungen generieren kann. Zudem arbeiteten wir an einigen technischen Überlegungen, und erstellten, obwohl wir uns der eher businesslastigen Seite des Projekts bewusst waren, einige grobe Datenflussdiagramme.
Der nächste Schritte bestand nun darin, konkrete mögliche Buchhaltungssystem-Kandidaten für die Anbindung ins planis zu finden. Unsere Analyse zeigt, dass der Markt für Buchhaltungssysteme in der Schweiz enorm umkämpft ist. Wer bei Google nach «Buchhaltungssoftware Schweiz» sucht, erhält nicht nur ungefähr 229'000 Resultate, sondern auch eine Unmenge an gesponsorten Links, welche von den einzelnen Anbietern dort platziert werden. Da wir unmöglich jedes einzelne Programm bewerten konnten, haben wir uns auf die in der Schweiz am häufigsten verwendeten Softwares beschränkt. Dazu haben wir einerseits die von den Herstellern angegebenen Nutzerzahlen verwendet, und gleichzeitig aber auch bei uns bekannten Nutzern solcher Software nachgefragt. Genauer angeschaut haben wir uns die Produkte von Bexio (schweizweit 70'000 Nutzer), SWISS21.org (50'000), Klara (40'000), Proffix (4'000), Banana (keine CH-Angaben, weltweit 400'000 Nutzer) und Infoniqa ONE 50 (keine Angabe).
Das Problem – Buchhaltungssoftware vs. ERP-System
Viele der Lesenden haben sicher schon den Begriff «ERP-System» gehört. Bei einem ERP-System handelt es sich um eine vollintegrierte Software-Suite, die die verschiedensten Tätigkeitsbereiche einer Unternehmung heutzutage abdeckt und Prozesse einfacher und schneller gestaltet. Mit einem ERP-System kann eine Unternehmung typischerweise ihr Lager verwalten, Kundendaten und -kontakte kontrollieren, Arbeitszeiten der Mitarbeitenden aufnehmen, Arbeitsrapporte erstellen, Offerten und Rechnungen ausstellen, aber eben auch die Buchhaltung erledigen.
Bei der Analyse der Buchhaltungssysteme wurde uns schnell klar, dass es in der heutigen Zeit eigentlich keine reinen Buchhaltungssoftwares mehr gibt – vielmehr sind die von uns untersuchten Programme inzwischen zu voll ausgebauten ERP-Systemen angewachsen. Auch planis kann im weiteren Sinne eigentlich als eigentliches ERP-System bezeichnet werden, jedoch mit der nicht vorhandenen Buchhaltungskomponente als fehlendes Kernstück.
Und so stellten wir uns die Frage, die sich vielleicht auch potenzielle planis-Kundinnen und -Kunden stellen würden: Warum sollte jemand planis in seiner Unternehmung einsetzen, wenn das in der Unternehmung eingesetzte Buchhaltungs- bzw. ERP-System die planis-Funktionen bereits beherrscht?
Neue Möglichkeiten
Schwenken wir unseren Fokus nun wieder zurück auf planis. Es ist offensichtlich, dass die Entwicklung von Schnittstellen mit Buchhaltungssystemen keinen Sinn macht, da der Overlap der Funktionsumfänge schlicht zu gross ist. Deshalb haben wir uns in der nächsten Phase angeschaut, welche buchhaltungs-ähnlichen Funktionen mit geringem Aufwand zu implementieren wären.
- Zum einen sind wir wieder auf die ganz ursprüngliche Idee zurückgekommen: Die Anbindung des Faktura-Moduls ans E-Banking über die Schnittstelle. Mit der heute von vielen Banken unterstützten bLink-Schnittstelle kann schnell und mit wenig Programmieraufwand auf Bankdaten zugegriffen werden. So könnte geprüft werden, ob eine Rechnung bereits bezahlt ist oder ob eine Mahnung versendet werden muss. Dies würde aus unserer Sicht eine grosse Entlastung für die Rechnungsabteilung bringen.
- Weiter kann der Export von Lohnabrechnungen über Zahlungsdateien ermöglicht werden. So können die in planis erfassten Zeit- und Arbeitsrapporte automatisch in Lohnabrechnungen umgewandelt werden und mit wenigen Mausklicks ins E-Banking importiert werden. Dazu kann das weit verbreitete pain001-Dateiformat verwendet werden, welches von den meisten Schweizer E-Bankings unterstützt wird.
Langfristig gesehen denken wir aber, dass APP nicht darum herumkommen werden wird, eine breite Auswahl von Buchhaltungsfunktionen ins planis einzubauen, wenn planis langfristig am Markt erfolgreich sein soll. Für uns erscheint es aber auch möglich, die fehlenden Funktionen von einer Softwarefirma einzukaufen, welche diese Funktionen bereits entwickelt hat. Wir haben auch gesehen, dass ein kleiner Player wie der von uns nicht näher analyiserte «Buchhaltungsbutler.de», welcher eine eher eingeschränkte Funktionsliste hat, als möglicher Partner dienen könnte, um einerseits planis mit den nötigen buchhalterischen Funktionen auszustatten, und gleichzeitig dem Partner die fehlenden ERP-Funktionen bereitzustellen.
Fazit
Schlussendlich dürfen wir nicht vergessen, dass es sich beim Markt der ERP-Systeme um einen enorm umkämpften und vermutlich nahezu gesättigten Markt handelt. Dies bedeutet auch, dass es eines enorm grossen Aufwands bedarf, um schon mit einer topmodernen und gut ausgebauten Software in den Markt einsteigen zu können. Im Falle von planis, wo entscheidende Software-Teile noch fehlen, kann dementsprechend davon ausgegangen werden, dass auch der Aufwand nochmals viel grösser wird.